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Die Kunst des Weglassens

Wenn weniger zum Mehr wird

Von der geografischen Freiheit über die zeitliche Neugestaltung zur radikalen Vereinfachung: eine persönliche Reise über die Transformation der Arbeit. Im finalen Teil der New Work Trilogie: Warum die grösste Revolution darin liegt, bewusst wegzulassen statt ständig hinzuzufügen.

Autor:
Damian Müller
Lesezeit:
7 Minuten
Januar 2026

Nach Monaten des Experimentierens mit Orten und Arbeitsrhythmen kommt die vielleicht unbequemste Erkenntnis: Wir sind alle süchtig nach Beschäftigung. Süchtig nach dem Gefühl, "produktiv" zu sein. Süchtig nach vollen Kalendern, die uns vorgaukeln, wichtig zu sein.

Was folgt ist keine weitere Anleitung zur Selbstoptimierung. Im Gegenteil. Es ist meine persönliche Auseinandersetzung mit einer radikalen Frage: Was bleibt, wenn wir aufhören zu optimieren und anfangen wegzulassen? Die Suche nach Simplicity wurde zur vielleicht wichtigsten Lektion meiner Journey.

Zeit für eine Entgiftung.

Das 6-Stunden-Paradoxon

Sechs Stunden konzentrierte Arbeit. In den meisten Büros ein halber Tag – mit Kaffeeküche, Meetings über Meetings und dem obligatorischen "kurz mal schnell". Bei mir? Ein voller Arbeitstag. Ohne Ablenkung. Ohne Multitasking-Illusion. Ohne das Theater der Geschäftigkeit.

Die unbequeme Wahrheit: In diesen sechs Stunden schaffe ich mehr als früher in zehn. Nicht weil ich schneller arbeite. Sondern weil ich aufgehört habe, Arbeit mit Anwesenheit zu verwechseln. Weil ich den Mut gefasst habe zu sagen: Nach sechs Stunden ist Schluss. Punkt. Keine Ausnahmen, keine "nur noch schnell".

Es ist faszinierend, wie viel Energie plötzlich da ist, wenn man aufhört, sie für Unnötiges zu verschwenden. Wenn man sich traut, die heilige Kuh der 40-Stunden-Woche zu schlachten. Spoiler: Die Welt geht nicht unter. Im Gegenteil: sie wird klarer.

Zeit als Design-Element

"Ich habe keine Zeit". Der grösste Selbstbetrug unserer Generation. Wir haben alle 24 Stunden. Die Frage ist nur: Wofür geben wir sie aus? Für endlose Slack-Notifications? Für das zehnte "Alignment-Meeting" diese Woche? Für Projekte, zu denen wir eigentlich Nein sagen wollten?

Es brauchte Zeit zu verstehen: Nicht die Dinge, die ich tue, rauben mir Energie. Es sind die Dinge, die ich halbherzig tue. Die Projekte, die ich aus Pflichtgefühl annehme. Die Meetings, in denen ich körperlich anwesend bin, aber gedanklich schon beim nächsten Termin. Radikal weglassen bedeutet: Nur noch das tun, was wirklich zählt – dafür aber mit voller Präsenz.

Bei nomíra übersetze ich diese Philosophie in digitale Erlebnisse. Jedes unnötige Element ist eine verpasste Chance, dem Nutzer Zeit zurückzugeben. Gutes Design schenkt Klarheit, nicht Komplexität. Weniger Klicks, weniger Entscheidungen, weniger Friction. Mehr Flow.

Die Macht des Nein

"Ja" zu einer Sache bedeutet immer "Nein" zu tausend anderen. Diese simple Mathematik vergessen wir zu oft. Wir sammeln Verpflichtungen wie Trophäen, als wäre Überlastung ein Statussymbol. Als wäre "Ich bin so busy" ein Kompliment an uns selbst.

Ich habe aufgehört, mich für meine Neins zu entschuldigen. "Passt nicht zu meinem Fokus" ist ein vollständiger Satz. "Das gibt mir keine Energie" auch. Es ist keine Arroganz – es ist Selbstachtung. Es ist das Vertrauen in die eigene Intuition, zu wissen, was richtig ist. Und noch wichtiger: was falsch ist. Oder wie Molière schreib: "Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun."

Die Ironie dabei? Je mehr ich weglasse, desto kreativer werde ich. Als würde das Gehirn erst dann richtig aufblühen, wenn es nicht mehr mit tausend Optionen jonglieren muss. Fokus ist keine Einschränkung – es ist ein Verstärker. Wie eine Lupe, die Sonnenstrahlen bündelt, bis sie Feuer entfachen.

Raum für Wunder
(und Langeweile)

Wann hast du das letzte Mal aus dem Fenster gestarrt? Ohne Podcast im Ohr, ohne Smartphone in der Hand? Wann hast du das letzte Mal… nichts getan?

Jenny Odell spricht in "Nichts tun" von der revolutionären Kraft der Aufmerksam­keits­verweigerung. Sich bewusst den Algorithmen entziehen. Nicht von einer digitalen Auszeit zur nächsten hetzen, sondern Leere als integralen Bestandteil des Alltags kultivieren. Der digitale Raum ist zum Fitnessstudio für die Seele geworden – ohne Tiefe, ohne Pausen. Alles passiert gleichzeitig, Prozesse überlagern sich, unsere Aufmerksamkeit schrumpft. Wir haben Mephisto in unser Leben geholt. Die Kunst liegt darin, aus seinen Versprechen die richtigen zu wählen. Und den Rest bewusst zu ignorieren. Joy of Missing Out statt Fear of Missing Out.

Beim Träumen geht es nicht darum, wie. Es geht darum, dein Herz sprechen zu lassen, bevor die Logik dazwischenfunkt. Wir tauschen Gewissheit gegen Wunder ein. Und nennen das dann Realismus, was oft nur ein Codewort für Angst ist. Aber diese Wunder brauchen Raum. Sie brauchen Stille. Sie brauchen das bewusste Weglassen von Input, damit Output entstehen kann.

Die Illusion der Verbundenheit

Wir sind vernetzter denn je – und verlieren uns dabei selbst. Der digitale Raum verspricht alles: Effizienz, Verbindung, Wachstum. Doch ohne bewusste Grenzen wird er zum Hamsterrad. Die Lösung liegt nicht im temporären Ausstieg, sondern in der digitalen Souveränität. Weniger Apps, dafür die richtigen. Weniger Notifications, dafür echte Kommunikation. Weniger ist das neue Mehr.

Die stille Revolution

Gesundheit ist gestaltbar. Durch das, was wir tun, aber noch mehr durch das, was wir bewusst nicht tun. Weglassen ist mehr als Zeitmanagement: es ist Gesundheitskompetenz. Die Neurobiologie zeigt: Unser Gehirn braucht Pausen, um zu regenerieren. Unser Körper braucht Ruhe, um zu heilen. Unsere Seele braucht Stille, um zu wachsen.

Die wahre Kunst liegt nicht darin, auf den Wellen des Lebens zu überleben, sondern auf ihnen zu surfen. Flexibel bleiben, ohne sich zu verlieren. Robust sein, ohne zu verhärten. Unsere Welt hat Kreativität zum Luxus degradiert – nur Gewinn zählt. Aber schöpferisches Tun ohne Erfolgsdruck ist kein Luxus, es ist Neuroplastizität in Aktion. Diese Elastizität entsteht paradoxerweise durch Reduktion. Weniger Ballast macht beweglicher.

Bei nomíra übersetzen wir diese Erkenntnis in agile Prozesse: Nicht starr an Plänen festhalten, sondern mit Veränderungen fliessen. Die Energie der Bewegung nutzen, statt gegen sie anzukämpfen.

Die Kunst der Reduktion leben.

Von Personal zu Professional

Was im Persönlichen befreit, transformiert auch das Geschäftliche. Bei nomíra ist Reduktion kein Sparprogramm sondern bewusste Philosophie. Keine Feature-Inflation, die niemand braucht. Keine Design-Trends, die morgen schon überholt sind. Stattdessen: Zeitlose Eleganz durch bewusstes Weglassen.

Diese Verbindung zwischen persönlicher Lebensgestaltung und professioneller Arbeit ist kein Zufall. Wenn ich selbst in Klarheit lebe, will ich auch digitale Räume schaffen, die atmen können. Wenn ich die Kraft der Reduktion spüre, will ich sie weitergeben.

Liberate. Inspire. Simplify.

Nach dieser dreiteiligen Reise – vom äusseren Aufbruch über die innere Fokussierung zur radikalen Vereinfachung – kristallisiert sich eine Essenz heraus: Freiheit ist nicht die Möglichkeit, alles zu tun. Freiheit ist die Fähigkeit, bewusst zu wählen, was man nicht tut.

Liberate – Schaffe dir Raum zum freien Atmen. Befreie dich von Erwartungen, die nicht deine eigenen sind. Erkenne, dass wahre Freiheit in der bewussten Wahl liegt, nicht in endlosen Optionen.

Inspire – Lass Raum für Inspiration, statt jeden Moment zu optimieren. Vertraue darauf, dass in der Stille mehr entsteht als im Lärm.

Simplify – Vereinfache radikal, bis nur das Wesentliche bleibt. Und dann vereinfache nochmal.

Der Kreis schliesst sich

Navigate.Craft.Evolve. Bei nomíra ist das mehr als ein Prozess. Wir navigieren durch Komplexität, um Klarheit zu schaffen. Wir erschaffen digitale Erlebnisse, die durch Einfachheit brillieren. Wir wachsen nicht durch Addition, sondern durch die Kunst der Reduktion. Die Kunst des Weglassens ist keine Technik. Sie ist eine Haltung, die sagt: Ich weiss, was wichtig ist. Ich vertraue darauf, dass weniger oft mehr ist. Ich glaube daran, dass in der Reduktion die wahre Eleganz liegt.

Susan Cain schreibt in "Still": "In einer Welt, die nicht aufhört zu reden, ist Stille ein radikaler Akt." Ich ergänze: In einer Welt, die nicht aufhört hinzuzufügen, ist Weglassen revolutionär. Vielleicht ist das die ultimative Form von New Work: Die bewusste Entscheidung, nur noch das zu tun, was wirklich Bedeutung hat. Und die Erkenntnis, dass darin mehr Erfüllung liegt als in jeder To-do-Liste.

Literatur

  • Nichts tun – Jenny Odell
  • Von der Kunst des Weglassens – Tobias Esch
  • Nagomi – Ken Mogi
  • Still – Susan Cain
  • Brains & Balance (How to Make Your Brain Your Best Friend)– Rachel Barr
  • Everything is Fucked – Mark Manson
  • Luzifers Burnout – Alex Flach
  • Eine kurze Geschichte der Menschheit - Yuval Noah Harari

Über den Autor:
Damian führt nomira.ch, ein digitales Design-Studio mit Fokus auf UX und Visual Design. Wenn er nicht gerade Webflow-Projekte umsetzt oder an Design-Systemen feilt, findet man ihn beim Tennis, Padel oder auf Wanderungen in den Bergen.

Dies ist der dritte und letzte Teil meiner New Work Trilogie. Vom äusseren Aufbruch über die innere Fokussierung zur radikalen Vereinfachung. Eine Reise, die zeigt: Wahre Transformation beginnt nicht mit mehr, sondern mit dem Mut zum Weniger.

Die vollständige Reise:
Teil 1: Wie ich zum Teilzeit-Nomaden wurde
Teil 2: Wie ich durch Focus-Work produktiver wurde